Die morgendliche Sonne dringt durch Rhisceas Augenlider und sie versuch die hellen Strahlen mit einem Ellbogen über ihrem Gesicht zu blockieren. Aber egal wie sie sich dreht und wendet, das Licht findet immer einen Weg. Etwas mürrisch ?ffnet sie schlie?lich die Augen.
Die Müdigkeit liegt noch schwer auf ihr. Letzte Nacht hat sie kaum geschlafen. Zuerst wurde sie durch die raschelnden Bewegungen des Elfen wachgehalten, dem das Einschlafen wohl genauso schwer fiel, doch dann begannen ihre Gedanken zu kreisen. Wieso hatte der Elf sie noch nicht freigelassen? Wozu war sie noch da? Warum brauchte er sie? Die einzige Antwort darauf, die für sie Sinn ergab, war dass er sie als eine Art Notfall-Proviant dabei hatte. Ginge das überhaupt? Ihr verfluchtes Blut war doch giftig für ihn. Aber wofür sonst würde er sie so weit in den Wald hinauszerren?
Sie hatte zu dem unweit der Feuerstelle ruhenden Elfen geblickt. Auf dem Bauch liegend hatte er den mit Baumharz geklebten Flügel zum trocknen ausgestreckt und versuchte gerade wieder eine zumindest teilweise angenehme Liegeposition zu finden.
Wer wei?, was er vor hatte. Vielleicht war für sie noch etwas viel Schlimmeres geplant. Und ab diesem Gedanken war an Schlaf nicht mehr zu denken. Die ganze Nacht hatte sie damit verbracht, sich ein grausames Szenario nach dem n?chsten auszumalen. Erst zum Morgengrauen war sie kurz eingenickt.
Sie l?sst ein St?hnen h?ren, als sie sich schlie?lich aufsetzt und schlaftrunken umherblinzelt. Den Elfen findet sie einige Schritte weiter im Laub sitzend vor. Er scheint nicht viel besser geschlafen zu haben, denn er hat den Kopf in die H?nge gelegt und stützt diese auf seinen angewinkelten Knien ab. Als Rheas ?chzen ihm verr?t, dass auch sie schon wach ist, f?hrt er sich mit beiden Handfl?chen über das Gesicht und wirft ihr einen kurzen Blick zu, bevor er seufzend zum Himmel hochsieht und schlie?lich aufsteht.
“Auf, auf Sonnenschein, wir haben noch einen weiten Weg vor uns”, kündigt er in einem wenig begeisterten Ton an und beginnt dann seine Habseligkeiten von der Feuerstelle aufzusammeln.
“Du hast immer noch nicht gesagt, wohin es eigentlich geht.”
überrascht h?lt der Elf mitten in der Bewegung an und dreht sich zu Rhiscea. Er hat wohl nicht mit einer Antwort auf seine Sticheleien gerechnet. Kurz runzelt er die Stirn über ihre Frage, blickt dann wieder zu dem Topf zurück, den er gerade halb in ein S?ckchen gestopft hat und schweigt einen Moment, so als würde er sich die Antwort zuerst gründlich überlegen müssen. Als er schlie?lich wieder die Stille bricht, ist sein Ton abweisend.
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“Alte Freunde besuchen, Gefallen einfordern oder ?hnliches.”
Rhiscea schnaubt nur.
“Deine oder meine Freunde?”
“Macht es einen Unterschied?”, schnappt der Elf sofort zurück, ohne sie anzusehen. Mit einer übertrieben aggressiven Bewegung zieht er die B?nder an dem S?ckchen zu, so als k?nnte er damit das Gespr?ch abschnüren.
Bevor sie ihm die Frage beantwortet, verlagert sie ihr Gewicht und setzt sich in einen bequemen Schneidersitz.
“Wenn es ersteres ist, sehe ich keinen Grund, weshalb ich noch weiter dabei sein müsste”, erkl?rt sie langsam, jede seiner Regungen gebannt mitverfolgend.
Der Elf lacht amüsiert auf.
“Oh keine Sorge”, versichert er dann, “du wirst dringend gebraucht. Um dich dreht sich die ganze Vorstellung schlie?lich.”
Bei seinen Worten macht sich in Rhiscea eine übelkeit breit und erneut beginnen sich die brutalsten Szenarien vor ihrem inneren Auge abzuspielen. Doch noch bevor sie weiter nachhaken kann, wird sie schon von dem Elfen unterbrochen:
“Auf geht's, wir müssen los.”
Mit diesen Worten wendet er sich ab, um die Reise fortzusetzen.
Rhea seufzt und rappelt sich schlie?lich auch vom Boden auf. Sie blinzelt in die langsam aufgehende Sonne. Irgendwie h?tte sie schw?ren k?nnen, dass sie gestern noch Richtung Südosten gelaufen sind, doch jetzt scheint der Kurs des Elfen deutlich weiter ?stlich abgebogen zu sein.
“Wei?t du, was mich wirklich interessieren würde?”, unterbricht ihr Geiselnehmen pl?tzlich Rhisceas Gedanken.
`Nein, eigentlich nicht′, beantwortet sie seine Frage im Geist. Er scheint heute redseliger als sonst. Vielleicht h?tte sie doch lieber die Klappe halten sollen. Aber dafür ist es jetzt leider zu sp?t, denn der Elf plappert bereits weiter.
“Seit wann bereust du es, mich am Leben gelassen zu haben?”
Die Frage überrascht Rhea und so schweigt sie kurz verdutzt. Der Elf bemerkt ihr Z?gern und stochert deswegen weiter nach.
“War es als ich dir das Messer an die Kehle gehalten, oder erst als ich dich aus deiner Stadt heraus und in den Karkovschen Wald gezerrt habe”, fl?tet er, “Oder vielleicht hast du schon viel früher mit dem Gedanken gespielt, mir doch einfach den Kopf abzuhacken?”
Etwas an seiner fr?hlich-stichelnden Art geht ihr m?chtig gegen den Strich. Wahrscheinlich ist es die Selbstsicherheit in seinem Ton, so als w?re er Herr über die Lage und niemand und nichts k?nnte ihm etwas anhaben. Vielleicht ist es an der Zeit, ihm ein wenig dieser Sicherheit zu nehmen.
“Nein”, antwortet die Fürstin kühl.
überrascht dreht sich der Elf zu ihr um und bleibt stehen.
“Nein”, wiederholt sie, “ich habe nie bereut dich am Leben gelassen zu haben.”
“Aber sicher doch”, schnaubt er belustigt und dreht ihr den Rücken zu, um seine Wanderung fortzusetzen. Doch sie ist noch nicht fertig.
“Ich bereue es auch jetzt nicht”, f?hrt sie fort und das l?sst den Elfen aufhorchen.
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